In einer neuen Studie haben Forschende des Fraunhofer ISI und der RWTH Aachen untersucht, wie die Energieverwendung und Produktion im Industriesektor flexibler werden kann – gerade angesichts eines künftig stark auf erneuerbare Stromerzeugung ausgerichteten Energiesystems. Im Fokus standen dabei besonders die technischen, wirtschaftlichen und regulatorischen Möglichkeiten und Hürden. Die Ergebnisse sowie die Empfehlungen der Studie, die im Auftrag des Kompetenzzentrums Klimaschutz in energieintensiven Industrien (KEI) angefertigt wurde, sind im Kontext der aktuellen Reform der Netzentgelte und häufiger negativer Strompreise sowie der langfristigen Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie von besonderer Relevanz.
Die deutsche Industrie befindet sich inmitten einer tiefgreifenden Transformation, um Produktionsprozesse künftig klimafreundlicher zu gestalten. Dies ist mit einer grundlegenden Umstellung des Energiebezugs sowie von Industrieanlagen verbunden. Gleichzeitig wird das Stromsystem der Zukunft durch erneuerbare Stromerzeugung sowie durch einen hohen Grad an Sektorenkopplung geprägt sein, was den Ausgleich von Stromangebot und -nachfrage vor Herausforderungen stellt und den Bedarf an Flexibilität stark erhöht. Ein flexibler Strombezug bietet zwar das Potenzial für Kostensenkungen, wird aber aktuell nur von wenigen Unternehmen genutzt – was vor allem daran liegt, dass bestehende Anlagen und Prozessketten auf hohe Auslastung optimiert sind.
In diesem Kontext hat eine neue Studie des Fraunhofer ISI sowie des Instituts für Industrieofenbau und Wärmetechnik der RWTH Aachen die technischen, ökonomischen und regulatorischen Möglichkeiten und Hemmnisse einer stärkeren Flexibilisierung der Energieverwendung im Industriesektor qualitativ und quantitativ untersucht. Methodisch kombiniert die vom Kompetenzzentrum Klimaschutz in energieintensiven Industrien (KEI) in Auftrag gegebene Studie eine umfassende Energiesystemanalyse mit Fallstudien zu einzelnen typisierten Unternehmen bzw. Anwendungsfällen, was im Unterschied zu früheren Studien eine stärkere Praxisnähe gewährleistet. Sie nimmt dabei eine vorausschauende Perspektive bei der Umstellung einer aktuell stark auf fossilen Energien basierenden industriellen Produktion ein, wie etwa die zukünftige Elektrifizierung von Prozessen bei der Versorgung von Prozesswärme. Die Bewertung von Industrieflexibilität erfolgt innerhalb eines stark auf erneuerbare Stromerzeugung ausgerichteten Energiesystems.
Energieeinsatz und Produktionsprozesse sind bisher kaum flexibilisiert
Die Studie konstatiert, dass Energieeinsatz und Produktionsprozesse in der Grundstoffindustrie bisher in der Regel kaum flexibilisiert, bestehende Produktionsanlagen hoch ausgelastet und auf kontinuierlichen Betrieb optimiert sind. Fallbeispiele im Rahmen der Studie zeigen aber ebenfalls, dass eine stärkere Flexibilisierung heutiger Produktionsprozesse sowie zukünftig elektrifizierter Prozesswärmeanlagen technisch möglich ist – allerdings auch zusätzliche Kosten nach sich zieht. Diese ergeben sich durch veränderte Wartungs- und Betriebskosten, Investitionen in zusätzliche Produktions- und Lagerkapazitäten oder Kosten für den Energietransport. Flexibler Energiebezug ist nur dann wettbewerbsfähig möglich, wenn entstehende Zusatzkosten durch Einsparungen kompensiert werden.
Beim Energiebezug steht die Industrie vor der Herausforderung, erneuerbare Energieträger wie Wasserstoff oder Strom in bestehende, über Jahrzehnte optimierte Produktionsprozesse zu integrieren. Allerdings ist oft eine vollständige Elektrifizierung vieler Prozessketten kurzfristig nicht möglich. In einem ersten Schritt können beispielsweise elektrische Dampferzeuger existierende erdgasbefeuerte Anlagen ergänzen oder in der Stahlherstellung die im Aufbau befindlichen Direktreduktionsanlagen Wasserstoff und Erdgas flexibel nutzen. Solche so genannten hybriden Systeme, welche mehrere Energieträger nutzen und relativ flexibel im Betrieb wechseln können, bieten ein großes Potenzial, um den Energiebezug der Industrie stärker zu flexibilisieren und so stärker an der Stromerzeugung aus Wind- und Solarenergie auszurichten. Langfristig können hybride Systeme aus Wasserstoff und Strom einen effizienten Beitrag zum Energiesystem leisten.
Aktueller regulatorischer Rahmen hemmt Flexibilisierung
Dr. Tobias Fleiter, der am Fraunhofer ISI das Geschäftsfeld Nachfrageanalysen und -projektionen leitet und dort die Studie koordinierte, weist auf weitere Erkenntnisse hin: »Unsere Ergebnisse zeigen, dass der aktuelle regulatorische Rahmen die Flexibilisierung des Energieeinsatzes und der Produktionsprozesse in der Industrie hemmt, weil die bisherigen Regelungen zu den Netzentgelten Anreize für möglichst hohe Volllaststunden und einen kontinuierlichen Strombezug setzen. Daher sollten die Stromnetzentgelte künftig stärker an den Anforderungen eines von Windenergie und Photovoltaik geprägten Energiesystems ausgerichtet werden.« Tobias Fleiter unterstreicht zudem, dass die Lastflexibilisierung in der Industrie einen wichtigen Beitrag zur allgemeinen Integration erneuerbarer Energien in das Energiesystem leisten kann. Gleichzeitig gilt es, die Möglichkeiten realistisch einzuschätzen und Industrieflexibilitäten im Kontext mit anderen Optionen wie Speichertechnologien oder überregionalen Ausgleichen über die Übertragungsnetze zu bewerten.
Damit das Flexibilitätspotential in der Industrie aber realisiert werden kann, braucht es eine klare Strategie der Politik und Investitionen. Eine Strategie zur Steigerung der Energieflexibilität sollte daher Synergien mit anderen Politikfeldern erschließen. Dazu zählen die Transformation zur klimaneutralen Produktion, die Resilienz der Energieversorgung oder die Absicherung gegen Preisschwankungen.
Hier kommen Sie zur Studie: www.klimaschutz-industrie.de/newsroom/publikationen/studie-flexibilisierung-elektrifizierter-industrieprozesse/
Text- und Bildquelle: Fraunhofer ISI